SIE...
Die Werkstatt des Pfeifenmachers war klein und staubig. Der Mann, der inmitten von Sägen, Schleifscheiben, Holzstücken und Bohrern sass, war es nicht weniger. Er presste das Holzstück an die Schleifscheibe und Holzstücke stoben in alle Richtungen davon. Einige Zeit später betrachtete er sein Werk, als er die Pfeife fertig gebeizt und poliert hatte. ”Nein, “Sie” ist es nicht.” Es war durchaus eine schöne Pfeife, die er in Händen hielt, Halfbent, orange kontrastgebeizt, keine Fehlstellen erkennbar, keine Spots, alles Ok. Trotzdem schüttelte er mit dem Kopf ”Nein, “Sie” ist es nicht!”. Nachdem er die Pfeife zu den anderen fertigen Pfeifen gelegt hatte, machte er die Augen zu und träumte den Traum, der ihn nun schon einige Jahre begleitete:
Er hatte “Sie” gebaut, seine Beste, die Perfekte, die Schönste, die ultimative Pfeife. In seinem Traum hielt er sie in Händen. Perfektes Straight Grain, unterseite Bird Eyes, wie er es zuvor bei keiner Pfeife gesehen hatte, das Mundstück so filigran und stimmig der Biss. Sein Ideal von einer Pfeife!
Es war nicht so, dass er schlechte Pfeifen baute. Er hatte sich im Laufe der Jahre einen guten Ruf erarbeitet. Seine Pfeifen waren begehrt und verkauften sich gut. Die Kunden waren zufrieden.
Ganz im Gegensatz zum Macher selber. Je öfter er diesen Traum träumte, desto unglücklicher wurde er.
Das Klopfen an der Tür seiner Werkstatt schreckte den Pfeifenmacher aus seinen Gedanken auf. Während er nur oberflächlich den Staub von seiner Hose und Jacke strich, ging er zur Tür und öffnete sie.
Vor der Tür stand ein Älterer Mann mit weissem Haar und Bart, in einem langen schwarzen Mantel gekleidet. Im Mundwinkel eine grüne Pfeife, echsenähnlich mit weit aufgerissenem Maul, aus dem Latakiarauchwolken quollen.
Der Pfeifenmacher erschrak wegen der unheimlichen Gestalt, die die kleine Tür zur Werkstatt fast ganz ausfüllte. “Was kann ich für Sie tun?” fragte der Pfeifenmacher nervös den Mann an der Tür.
”Ich kenne deinen Traum, elender Konkurent!”, kam eine tiefe Stimme zwischen den Lippen des Mannes hervor. “Ich kann dir helfen, “Sie” zu bauen”.
Dem Pfeifenmacher versagten seine Beine den Dienst. Das nächste, was er wieder mitbekam war, das der geheimnisvolle Mann sich über ihn beugte und sprach: “Ich kann dir helfen, “Sie” zu bauen...”.
Er hielt eine Kantel Holz in seinen Händen. “Hier ist, was du gesucht hast”
Immer noch benommen, sah der kleine Pfeifenmacher den Mann an. “Du kannst “Sie” bauen.”
“Warum wollen Sie mir helfen?” fragte der Pfeifenmacher dünn, der immer noch rücklings auf dem staubigen Boden der Werkstatt lag.
“Du kannst “Sie” bauen, aber wenn “Sie” fertig ist, wirst du Pfeifen für mich bauen. Du wirst Shapes bauen, die noch kein Mensch zu Gesicht bekommen hat. Du wirst dich von deinen Shapes lossagen und Pfeifen nach meinem Verlangen herstellen.” Qualmwolken entwichen seinem Mund mit jedem Wort das er sprach.
Der Pfeifenmacher betrachtete das unscheinbare Holzstück in den Händen des Mannes. “Nimm es und baue “Sie”, elender Konkurrent, aber du wirst danach nur meine Pfeifen fertigen, bis deine perfekte Pfeife die Person findet, die zu ihr passt. Solange gehört dein Talent mir”
Der kleine Mann schreckte auf und sah sich um. Die Tür der Werkstatt war weit geöffnet und kalte Winterluft füllte den Raum, er war alleine in dem Raum. Er rappelte sich auf und schüttelte sich. “Was für ein Traum!” dachte der Mann. Nachdem er die Tür geschlossen hatte, fiel sein Blick auf eine Holzkantel auf der Werkbank. War es jene aus seinem Traum? Die Kantel zog ihn magisch an, und ehe er sich versah, hatte er sie in den Händen und zeichnete darauf. Wie in Trance ging er in seiner Werkstatt auf und ab, bohrte, sägte, schliff und polierte das Holz. Nach 2 Stunden, die dem Pfeifenmacher wie wenige Augenblicke vorkamen, hielt er “Sie” in Händen. “Sie” war noch schöner als in seinem Traum. Perfektes Grain, ein Shape das Former alle Ehre gemacht hätte, das Mundstück ein Traum, alles stimmte. Der kleine Pfeifenmacher war zum ersten Mal seit Jahren glücklich und zufrieden.
Nachdem der Pfeifenmacher im Hochgefühl das Licht in der Werkstatt gelöscht hatte, geduscht und umgezogen in seinem kleinen Haus am prasselnden Kamin mit einer Flasche Rotwein den Tag feierte, an dem er “Sie” hergestellt hatte, ging er zufrieden in sein Bett.
Aber in seinen Träumen erschien der grauhaarige Mann im schwarzen Mantel. “Du hast Sie gebaut, elender Konkurrent, nun sollst du für mich arbeiten, bis deine perfekte Pfeife den richtigen Partner gefunden hat.” Der Mann lachte hämisch und stiess aus der grünen Echsenpfeife graue Rauchwolken aus. Dann erschienen im Traum Pfeifenformen, grotesk und unheimlich, Mit aufgerisssenen Mäulern, kurzen Stummelmundstücken und Farben, die er noch bei keiner Pfeife gesehen hatte.
Schweissgebadet erwachte er am Morgen. In seiner Werkstatt schien alles beim alten zu sein. Er betrachtete seine Schönheit von gestern und machte sich an die Arbeit. Er baute die Pfeifen die ihm im Traum erschienen waren. Unermüdlich bohrte und schliff er. Er hatte kein Zeitgefühl mehr, kapselte sich von allen anderen Menschen ab. Jedesmal wenn er am Morgen nach durchträumter Nacht in seine Werkstat zurückkam waren die am Vortag gebauten Pfeifen verschwunden. Jede Nacht der selbe Traum: Der grauhaarige Mann im schwarzen Mantel erschien in der Werkstatt. Nahm die Pfeifen mit und sagte: “Gut gemacht, elender Konkurrent, weiter und weiter bis “Sie” ihre Bestimmung gefunden hat.
Sie lag immer noch bei dem Pfeifenmacher in der Werkstatt. So wird die Pfeife nie den perfekten Partner finden, sagte der Pfeifenmacher zu sich. Schweren Herzens brachte er “Sie” zu seinem Händler. Als der Tabakwarenhändler, der seine Pfeifen verkaufte, "Sie" begutachtete, pfiff er anerkennend durch die Zähne “Dat is ever en schön Pfief, dat hätt ich dir janet zojetraut.” Die Pfeife bekam ein Preisschild und wanderte zu den anderen handgemachten Pfeifen in die Auslage des renommierten Pfeifengeschäftes.
Die Monate vergingen, aber der Pfeifenmacher merkte es kaum. Jeder Tag war wie der andere. Nachts im Traum der Mann und tagsüber war er damit beschäftigt die nächtlichen Visionen von Pfeifen in Bruyere und Ebonit umzusetzen. Auch wenn er mal versuchte, eine klassische Pfeife zu bauen, wurde diese nicht so wie sich er, sondern wie der grauhaarige Mann sich die Pfeife vorstellte.
Er war zu seinem Sklaven geworden.
“Sie” lag immer noch im Pfeifengeschäft in der Auslage. Nicht das sich niemand für sie interessierte, es kamen viele Kunden, die “Sie” bewunderten und berührten. Aber niemand kaufte “Sie”. Und wenn jemand sie kaufen sollte: War es der richtige, der perfekte Partner für seine Pfeife?
Mehrmals ging er verstohlen an der Auslage seines Händlers vorbei, und sah nach seiner Schönheit.
Eines Nachts erschien im Traum ein Mann, den der Macher noch nie gesehen hatte. Auf einer Blumenwiese mit einem blütenweissen Anzug bekleidet, einen Sommerhut auf seinem Kopf. Im Mundwinkel eine englisch-klassische schwarze Pfeife. “Ich helfe dir, den Partner für “Sie” zu finden. Gib mir die Pfeife.”.
Am nächsten Tag sprach er mit seinem Händler und nahm “Sie” wieder mit. Er ging zum Postamt und gab das Paket auf. Nach der Adresse brauchte er sich nicht zu erkundigen, er wusste sie einfach.
Jeden Tag erwartete er weitere Nachricht von seiner Pfeife. Aber es erschien nur der grauhaarige Mann. Wieder vergingen Monate mit der Fertigung der Pfeifen aus seinen nächtlichen Visionen.
Erst als es wieder Winter wurde meldete sich in seinen Träumen der Mann im weissen Anzug: “Ich hab den Partner für “Sie” gefunden, verzweifle nicht, Pfeifenmacher!”
Der Pfeifenmacher war grau geworden und eingefallen sein Gesicht. Seine Hände trocken und rissig. Unter seinen Augen hatten sich tiefe Ringe gebildet.
Als er eines winterabends in seiner Werkstatt die letzte Pfeife des Tages fertigte, eine Pfeife, die ihn an den Vollmond erinnerte mit Kratern und Hügeln, das Mundstück wie der Schweif eines Kometen, klopfte es an seine Werkstatttür. Vor der Tür stand im Schneegestöber eine Gestalt und bat um Einlass. Der Pfeifenmacher, der in dem letzten Monaten kaum Kontakt zu andern Menschen gehabt hatte, liess den Unbekannten herein. In einen dicken Wintermantel und einen Schal um den Kopf erkannte des Pfeifenmacher, das es eine Frau war, die seine Werkstatt betrat. Nachdem die Frau den Mantel und Schal abgelegt hatte, sah er, dass es eine wunderschöne Dame war, die er eingelassen hatte. Mit langen schwarzen Haaren und dunklen Augen. “Ich musste sie kennenlernen,” sagte die Frau und griff in die Manteltasche. In ihrer zarten Hand war “Sie”, so schön wie er sie in Erinnerung hatte. “Ich musste einfach den Mann kennenlernen, der eine solch perfekte Pfeife für mich machen kann.” Und wirklich, die beiden passten perfekt zusammen. Der Teint der Frau passte zur Farbe der Pfeife. Das Schwarz des Mundstücks harmonierte mit der Augenfarbe der Frau.
Der Pfeifenmacher war sprachlos und konnte den Blick nicht von den beiden Schönheiten, die ihm gegenüberstanden, abwenden. Er konnte nur stammeln: “Wie raucht sie sich?”
“Ich wollte mit dem Rauchen warten bis ich Sie kennengelernt habe.” erwiderte die Dame.
Der Pfeifenmacher reichte der Frau Tabak und Streichhölzer, und beide setzten sich an den kleinen Tisch der Werkstatt. Als die Frau die Pfeife gestopft hatte, und das erste Streichholz den Tabak berührte, fühlte der Pfeifenmacher eine Last von sich abfallen. Er dachte nicht mehr an den Grauhaarigen im schwarzen Mantel. In seinem Geist sah er seine geliebten klassischen und dänischen Shapes, die er bauen wollte.
Tabakrauch erfüllte die Werkstatt, die Augen des Pfeifenmachers und der Frau tauschen vielsagende Blicke aus.
Übrigens: Ähnlichkeiten zu lebenden Personen, oder gar Forumsmitgliedern, wären rein zufällig......